Israelisches Tanzhaus e.V.
Postanschrift: Waakirchner Str. 48, 81379 München, Tel. 089-7241445


Projektwoche Israel

Die Bundeszentrale für politische Bildung
Ohne Verantwortung oder verantwortungslos?
von
Matti Goldschmidt


Im Dezember 1998 veröffentlichte die Bundeszentrale für politische Bildung unter dem Titel 'Projektwoche Israel' eine Sammlung von 'Arbeitseinheiten für Projektwochen mit ergänzenden Bausteinen' (1). Von diesem Projekt erfuhr der Schreiber dieser Zeilen rein zufällig, indem der Resortleiter Franz Kiefer korrekterweise Ersteren um die Abdruckgenehmigung eines Textes aus einer von ihm verfaßten Publikation (2) bat. Diese wurde unter Hinzufügung einiger klärenden Kommentare gewährt.

Nach Erhalt eines Belegexemplares stand insbesondere das sechste und letzte Kapitel ('Baustein'), namentlich 'Traditionelle Musik und Volkstanz', dem Spezialgebiet des Schreibenden (3), unter kritischer Betrachtung (4). Bedauerlicherweise erwiesen sich nun die Ausführungen der Verfasserin Edda Langecker unter der Redaktionsleitung von Ulrich Dovermann als recht oberflächlich, teilweise irreführend, unvollständig und mitunter gar falsch.

Lt. telefonischen Angaben Kiefers wurde der besagte Titel bis ca. Mitte Juni 1999 ungefähr 25.000 Mal gratis verteilt. Zielgruppen seien zum einen u.a. Institute der Erwachsenenbildung, zum anderen sämtliche Typen von Schulen für die Fächer Sozial- oder Politische Weltkunde. Dabei fungiere die Bundeszentrale als überparteiliche Behörde. Auf der Seite 2 des hier besprochenen Bausteins (5) kann man schließlich lesen, daß die vorliegende Veröffentlichung 'keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung' darstelle, 'für die inhaltlichen Aussagen tragen die Autoren die Verantwortung' (6). Zieht man nun den durchaus gewünschten, eigentlich zum Ziele gesetzten Multiplikatoreffekt in Betracht, überrascht es außerordentlich, daß zum einen die Bundeszentrale jede Verantwortung zu der in ihrem Namen verlegten, grundsätzlich anzuerkennenden und förderungswürdigen Publikation ablehnt, zum anderen aber Autoren zum Zuge kommen, die offensichtlich nicht in der Lage sind, der akademischen Sorgfaltpflicht genügende Recherchen zu betreiben.

Die im Nachfolgenden zu diskutierenden Punkte werden vom Schreibenden, der sich seit über zwanzig Jahren mit dem Thema 'Israelischer Volkstanz' beschäftigt und u.a. Mitglied im Histadruth-affiliierten 'Verband israelischer Tanzmeister' in Tel Aviv ist, gerne zur Disposition gestellt, insbesondere dann, wenn es sich um Punkte handeln sollte, die eigentlich gar nichts mit seinem Spezialthema zu tun haben, wie etwa, 'der Sabbat' beginne 'am Freitag abend bei Sonnenuntergang' und ende 'mit Sonnenuntergang am Samstag' (S. 7). Ohne Literaturverweis darf hier wohl behauptet werden, daß der Sabbat frühestens nach vollendetem Sonnenuntergang am Samstag beendet ist, wie auch der Hinweis, der Sabbat hieße 'hebräisch: shabat' (ebd.) insofern nicht korrekt ist, da es im Deutschen für den hebräischen Buchstaben 'schin' die Buchstabenkombination "sch" gibt, die dem englischen 'sh' in einer deutschen Veröffentlichung sicher vorzuziehen wäre (warum nicht, wenn schon fremdsprachlich, statt dem englischen Äquivalent das tschechische 'š'?); als korrekte Transkribierung sei hier 'schabbath' vorgeschlagen.

Zum Thema 'Jiddische Sprache' (S. 42) verzichtet Langecker auf eigene Ausführungen und zitiert durchwegs eine Arbeit von Otto Best, jedoch ohne die notwendige Jahresangabe (7): '"Jiddisch" bezeichnet (...) eine von deutschen Juden gesprochene Sprache (...)'. Der nicht mit dem heutigen deutschen Judentum konfrontierte Leser gewinnt hier, sofern er es nicht schon besser weiß, den Eindruck, die in Deutschland lebenden Juden sprächen auch heute noch tatsächlich Jiddisch. Daß dem nicht so ist, wäre zum einem in praxisnahen "Objektstudien" zu erfahren, man besuche z.B. eine öffentliche Veranstaltung der lokalen jüdischen Gemeinde, zum anderen kann man Diesbezügliches in diversen Werken zur jiddischen Sprache nachlesen, etwa bei Bettina Simon: 'Von geringfügigen Resten abgesehen, gibt es seit der rechtlichen Gleichstellung der Juden in Deutschland in sprachlicher Hinsicht keine jüdischen Spezifika mehr. Hingegen hat das osteuropäische Judentum, das in seiner Mehrheit eine nationale und religiöse Minderheit blieb, eine von der Umwelt abweichende, auf dem Deutschen basierende Sprache beibehalten und weiterentwickelt' (8). Oder man vergleiche die ganz einfach nachzuschlagende Encyclopaedia Judaica (9). Keine Spur von einer von deutschen Juden heute gesprochenen, dem Deutschen abweichenden Sprache!

Lt. Langecker wurde im Jahre 1897 das Lied Ha Tikvah 'beim ersten Zionistenkongress als Nationalhymne Israels angenommen' (S. 41). Es erübrigt sich zu erwähnen, daß der Staat Israel erst 1948 gegründet wurde, wonach es 1897 unmöglich eine 'Nationalhymne Israels' gegeben haben konnte. Ha-Thiqwah galt vielmehr als Hymne der zionistischen Bewegung. Wenn Ha-Thiqwah seit 1948 auch die Funktion einer Nationalhymne in Israel übernommen hat, wurde sie niemals vom israelischen Parlament, der Knesseth, als offizielle Nationalhymne erklärt (10). Der Musikwissenschaftler Idelsohn (1882-1938) bezeichnete übrigens Hatikva als 'zionistische Hymne' (11).

'Besondere Bedeutung' legt Langecker auf 'die in Deutschland populäre "Klezmer"-Musik' (S. 6), die einen eigenen Abschnitt erhält (S. 46-48), der 'vor allem der Sekundarstufe II' gelten solle (S. 6). U.a. werden hier drei Klezmer-Gruppen, die allesamt in den USA beheimatet sind, mit jeweils kompletter Adressenangabe samt Telefon- und Faxnummern aufgeführt (S. 46). Ob deutsche Schulen allenfalls ermuntert werden sollen, genannte Gruppen aus Übersee einzuladen, bleibt unklar. Klezmer spielende, meist rein deutsche Gruppen unter nicht-jüdischer Beteiligung (in Kontrast dazu ist die US-amerikanische Klezmerszene durchwegs jüdisch) wie z.B. - in alphabetischer Reihenfolge - Colalaila, Harry's Freilach, Huljet, Jowel Klezmorim, Klezgoyim, Massel Tov, Nunu!, Zwetschgndatschi usw. finden jedoch keine Erwähnung (12). Die Nennung von gerade zwei Tonträgern zur Klezmermusik (Itzhaq Perlman und Giora Feidman, ebd.) spiegelt bei Weitem nicht das tatsächliche, d.h. das den Markt füllende Angebot wider (13). Der die Klezmermusik erläuternde Text besteht aus über 50% aus einem Zitat, entnommen dem inzwischen eingestellten Periodikum 'Musikblatt', notabene ohne Angabe des Verfassers, des Jahrgangs oder der Heftnummer, was hier gerne nachgeholt werden soll (14). Man vergleiche übrigens Langeckers Satz unmittelbar vor dem Zitat ('In der musikalischen Praxis der Klezmorim und Wandermusikanten wurde seit dem Mittelalter reichlich improvisiert', S. 46, ganz deutlich ohne Quellenverweis) mit dem Original des danach zitierten Thomas Heym: 'Improvisiert wurde in der musikalischen Praxis von den Ostjuden reichlich. Träger dieser Kunst waren die Klezmorim, Wandermusikanten, die es seit dem Mittelalter gibt' (15).

Zum israelischen Volkstanz weiß Langecker folgendes zu berichten: 'Eine Musiklehrerin aus Israel (ohne Namensnennung, d.V.) erzählte mir, daß Tanzschritte zu bestimmten Liedern oder Songs (wo ist hier, bitte, der Unterschied?, d.V.) nicht dokumentiert werden. (...) Es gibt bestimmte feststehende Tanzschritte, aber die Abfolge der Tanzschritte kann verändert werden. Diese Aussage wurde mir von mehreren Israelis (wiederum ohne Namensnennung, d.V.) bestätigt...' (S. 52) (16). So einfach ist das also. Man hole sich 'Informationen' von namenslosen Israelis und gelange so zu einer Aussage, die schlichtweg falsch ist. In Anbetracht dieser Unkenntnis muß der berechtigte Zweifel entstehen, ob Langecker jemals in Israel (oder ggf. auch in Deutschland) einen der unzähligen öffentlichen Volkstanzabende besucht hat. Ohne hier auf eine Wertung des Volkstanzes im Allgemeinen bzw. des israelischen Volkstanzes im Speziellen einzugehen, gibt es definitiv feststehende und schriftlich dokumentierte Tanzschritte zu praktisch sämtlichen israelischen Volkstänzen. Die Abfolge der Tanzschritte kann nicht variiert werden. Darin besteht übrigens auch der Reiz, an Tanzabenden in Melbourne, Tel Aviv, Los Angeles, London oder München immer aktiv teilnehmen zu können, gerade weil eine bestimmte Melodie i.d.R. immer die gleiche Tanzschrittabfolge aufweist. Es gibt vielmehr eine ganze "Industrie" zu israelischen Tänzen mit dem Verkauf von Demonstrationsvideos, CDs, Minidiscs, Audiokassetten usw. usf., an der Langecker offensichtlich ebenso erfolgreich vorbeiging wie an den geschätzten 200.000 regelmäßig Volkstanzenden in Israel (17).

Ziel des Tanzes sei es zum einen, die verschiedene Volksgruppen in Israel zu verbinden und die neuen Bewohner zu integrieren (S. 52). Zum anderen könnten - zum geplanten Unterricht an deutschen Schulen - beim 'Einstudieren von Tänzen (...) tanzerfahrene Mitglieder einer jüdischen Gemeinde angegangen werden' (ebd). In diesem Aussage spiegeln sich nun genau die Vorurteile wider, die man in einer Broschüre zur politischen Bildung gerade nicht machen sollte. Denn: Jüdische Gemeinde in Stadt X ist eben ungleich Israel. Eine kulturelle Verbindung etwa deutscher Immigranten in Israel mit anderen (ethnischen) Volksgruppen wäre über das neu kreierte Medium Tanz als Integrationshilfe ja kaum notwendig, wenn in jüdischen Gemeinden alle bereits 'israelisch' tanzen könnten (daß der israelische Tanz nichtsdestotrotz eine Verbindung zwischen Israelis, Juden der Diaspora und Nichtjuden entstehen läßt, sei hier nur am Rande erwähnt). Tatsache ist (sehr zum Bedauern des Verfassers dieser Zeilen), daß in Deutschland die Juden nicht israelisch volkstanzen! Ob sich Langecker diesbezgl. jemals an ein Mitglied in nur einer einzigen jüdischen Gemeinde gewandt hat? Soweit bekannt, gibt es nur in Berlin, Bonn, Darmstadt, Frankfurt, München, Stuttgart und Wiesbaden von den jeweiligen Jüdischen Gemeinden geförderte regelmäßige Kurse für Israelische Volkstänze. Der jüdische Anteil an den Kursen in den genannten Städten ist minimalst, man könnte fast sagen nicht-existent, er beschränkt sich zumeist auf wenige integrationssuchende Israelis, d.h. eben nicht aus den "eigenen" Reihen stammenden jüdischen Teilnehmern (18). Großstädte wie Hamburg, Essen oder Düsseldorf können überhaupt keine regelmäßigen Kurse für Israelischen Volkstanz vorweisen. Mit anderen Worten: Ohne Deutsche gäbe es heute in Deutschland keinen israelischen Volkstanz!

Zu den Grundlagen des israelischen Volkstanzes schreibt Langecker, Tänze aus Israel seien 'ein geeignetes Medium, um sich mit der Kultur, Religion und Geschichte Israels sowie des jüdischen Volkes auseinanderzusetzen' (S. 53). Daß 'Tänze aus Israel' nichts mit der Kultur des jüdischen Volkes als Ganzes zu tun haben, dessen - global gesehene - Gemeinsamkeit sich im Wesentlichen auf den religiösen Aspekt beschränkt, wurde bereits weiter oben deutlich gemacht. Die Religion 'Israels sowie des jüdischen Volks' hat sich darüber hinaus - von heute aus betrachtet - nur sehr periphär in den israelischen Volkstanz eingeschlichen, wie einer weiteren Veröffentlichung des Verfassers dieser Zeilen zu entnehmen gewesen wäre (19), von 'Grundlage' kann hier keine Rede sein.

Der in diesem Zusammenhang gebrachte Verweis auf Sendrey (20) kann dabei nicht akzeptiert werden: Langecker zitiert hier ohne Anführungszeichen (ebd.): 'In vielen Tänzen und Lieder spielt (spielen, d.V.) die Religion und die Beziehung zu Gott eine entscheidende Rolle: Gesang, Spiel und Tanz sind wesentliche Elemente der jüdischen Musikauffassung. Diese drei Ströme des musikalischen Impulses entspringen demselben Urquell und streben demselben gemeinsamen Ziel entgegen: der Verherrlichung Gottes'. Erst bei einer Nachprüfung wird klar, daß nur der letzte Satz dieses Zitates von Sendrey stammt (ab: 'Diese drei Ströme...'). Sendrey selbst beginnt sein Kapitel über den Tanz aber tatsächlich mit folgenden Worten: 'Die Dreifaltigkeit der Musik in Alt-Israel (Hervorhebung durch d.V.) - Gesang, Spiel und Tanz - ist die Grundeinstellung der jüdischen Musikauffassung. Diese drei Ströme...' (21). D.h. Sendrey schreibt über den - damals tatsächlich religionsbezogenen - Tanz in 'Alt-Israel' (22). Langeckers Verbindung des aus der sozialistischen Kibbutzbewegung entstandenen israelischen Volkstanzes mit einer 'Beziehung zu Gott' mag einem reinen Wunschdenken entspringen und kann nur als bestenfalls unreflektierte, schlimmstenfalls fahrlässige Willkür bezeichnet werden.

Zur Auswahl der Tänze kann gesagt werden, daß die Musikpädagogin Langecker sicher andere Maßstäbe für den Unterricht ansetzen mag als der Tanzpädagoge Goldschmidt. Trotzdem scheinen hier einfach zu tanzende und in Israel durchwegs populäre 'Klassiker' wie z.B. Nigun (Zemer) Athiq, Hora Hadera, Erev Ba, Eretz Eretz oder auch etwas 'Flotteres', die Jugend mehr Ansprechendes wie Qumah Ekha oder Hora Nirqodah zu fehlen. Insbesondere ist aber die mangelnde, wenn nicht gar fehlende Methodik bei der Auswahl der zwölf Tänze vorzuwerfen (S. 55-71): So fehlen zu allen zwölf vorliegenden Tänzen die Angaben des Choreographen, was insofern nicht überrascht, da die Tanzschritte angeblich 'aus den verschiedensten Quellen übernommen, z.T. (...) nur mündlich überliefert' sind (S. 52). Die beigefügten Noten werden größtenteils ohne Angaben des jeweiligen Komponisten mitgeliefert. Dies widerspricht eindeutig der in Israel üblichen Praxis, nach der es zu jedem Tanz eine Tanzbeschreibung mit Nennung des Choreographen, des Komponisten sowie in vielen Fällen des Texters gibt. Es sei nur nebenbei erwähnt, daß auch in Deutschland veröffentlichte Publikationen sich genau diesem System längst anschlossen (23).

Lt. Langecker entstand (Od) lo Ahavthi Dai 'als volkstümliches Lied', das 'in der Popversion (...) jedoch große Popularität' erreichte (S. 55). Was immer der Ausdruck 'volkstümliches Lied' im israelischen Kontext bedeuten soll: Text und Musik stammen ganz profan von Naomi Shemer (Choreographie: Yankele Levi) und fallen in den Zeitraum von ca. 1977. Aus der von Langecker angegebenen Quelle der Notenaufzeichnung (24) wäre allerdings auch der Name der Komponistin nachzulesen gewesen. Auf die nicht korrekt wiedergegebene Schrittfolge (d.h. die in Israel allgemein praktizierte und vom Choreographen vorgesehene) im Detail einzugehen würde den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen, aber auch das erscheint bezeichnend für die Recherchequalitäten Langeckers: Ein Besuch auf nur einem Volkstanzabend, ggf. auch in Deutschland, hätte genügt, die Schrittkombinationen zu bestätigen oder bei Bedarf zu korrigieren...

Der Tanz Mayim, Mayim wird für den Text richtig mit Jesaja 12:3 zitiert (S. 57), wenngleich auch hier die Angaben des Komponisten (Emanuel Amiran) und der Choreographin (Else Dublon) fehlen. Der dem Tanz beigefügte Informationstext ist nicht nur unzureichend informativ ('Dieser Tanz [mayim = Wasser] wird vor allem bei den Siedlern in der Wüste gesungen und getanzt', ebd.), er bestätigt auch manch romantisch-verklärte Vorurteile. Über den Hintergrund dieses 1937 choreographierten Tanzes berichtete Tzvi Friedhaber an verschiedenen Stellen (25). Danach wurde Mayim, Mayim ursprünglich eigens als Bühnenchoreographie für ein 'Wasserfest' im Kibbutz Na'an (absolut zentrales Israel, ohne Wüste, nahe Ramlah gelegen) geschaffen und mutierte erst danach zu einem für ein breites aktives Publikum vorgesehenen Volkstanz. Außerdem sprach man vor 1948 auf jeden Fall nicht von 'Siedlern', sondern von 'Pionieren' oder 'Khalutzim', wie es auch ganz konkret die im gleichen Baustein ausgewählten Lieder (S. 31 f.) zeigen. 'Siedler' (hebr. 'Mithnakhalim' oder 'Mithyashvim') ist ein Ausdruck, der erst ab der zweiten Hälfte der siebziger Jahre durch die eher national-religiös orientierte (wenn auch von der Arbeitspartei initiierte) Siedlungsbewegung in den besetzten Gebieten benutzt wurde und somit für Deutsche einen leicht negativ gefärbten 'touch' bekam (ebenso wie das englische 'settler').

Die mit Quellenangabe versehene Choreographie von Peter Tomanke zu Hava Nagilah (26) (S. 60) hat nichts mit der in israelischen Volkstanzkreisen bekannten Version zu tun (Choreographie: Tzvi Tacho Hillmann), die gelieferte Version entpuppt sich als gemeine israelische Hora, die allerdings in israelischen Volkstanzkreisen nicht als "Volkstanz" gezählt wird. Der Text hierzu stammt sicher nicht aus der Bibel und schon gar nicht wie angegeben aus Jesaja 12:3 (S. 59), denn das wäre ja das bereits besprochene Mayim Mayim. Pasternak gibt als Textverfasser einen gewissen M. Nathanson an (27). Gemäß Encyclopaedia Judaica scheint Idelsohn selbst den Text verfaßt zu haben (28). Die Musik wird von Pasternak als 'Folklore' bezeichnet, während Idelsohn als Quelle dieses Liedes 'Sadigora' angibt (29), wobei es sich nicht um eine Person, sondern um die moldawische Stadt Sadgora halten könnte.

Zu Shalom Khaverim (S. 61) gibt es keinen israelischen Volkstanz (soweit Israel dafür als Gradmesser herhalten darf), die von Langecker bezeichnete Hora überschneidet sich unglücklicherweise mit einem israelischen Volkstanz, der tatsächlich Hora heißt (Choreographie: Shlomo Maman, Komponist: Avi Toledano, Text: Yoram Tahar-Lev) und mit der beschriebenen Schrittabfolge nichts gemeinsam hat (S. 62). Sollte man den Leser nicht darauf aufmerksam machen? Um ca. 1945 hatte übrigens auch Rivka Sturman einen Tanz namens Hora eingeführt, der aber dann den Namen Im Hupalnu erhielt...

Zu Simchu et Y'rushalayim (S. 63) wurde die relevante Redaktion der Bundeszentrale für politische Bildung noch vor Redaktionsschluß vom Verfasser dieser Zeilen darauf aufmerksam gemacht, daß der Tanz in Israel unter dem Namen Sissu eth Yerushalayim bekannt ist (Choreographie: Jonathan Gabai, Musik: David Weinkranz, Text: Jesaja 66:10, 62:6 und 60:4) - selbst wenn die relevante Bibelstelle tatsächlich von 'simkhu' spricht, wurde dieses Wort in der gesungenen Version jedoch durch 'sissu' ersetzt. Wenn nun Langecker bei der von ihr veröffentlichten Tanzbeschreibung zu 'Melodie und Text' auf die Seite 37 verweist, dann hat sie sich mit Simchu et Y'rushalayim eindeutig die falsche Melodie ausgesucht, die richtige wäre nämlich auf Seite 36 unter dem Titel Sisu et Y'rushalayim zu finden gewesen! Konkret für diesen Fall kann die Redaktion nun nicht behaupten, es "nicht gewußt" zu gaben - sie hat es gewußt, schien aber nicht in der Lage, ihr Wissen zu koordinieren.

Es würde sicherlich ins Uferlose führen, die nachfolgenden Tänze im Detail zu diskutieren, es muß hier genügen, die mangelnde, wenn nicht gar fehlende Methodik an den bisherigen Fällen aufgezeigt zu haben und den allfälligen Benutzern bzw. Anwendern dieses Bausteins korrigierte bzw. ergänzende Angaben geliefert zu haben. Der Vollständigkeit halber seien aber, quasi als notwendige Ergänzung zu den einzelnen Tänzen, die jeweils fehlenden Angaben in der Reihenfolge Choreographie, Komponist und Text aufgeführt: Nitzane'i Shalom (Yoav Ashriel, Yitzhaq E. Navon, ohne Text; S. 65), Mah Navu (Rayah Spivak, Yosef Spivak, Jesaja 52:7; S. 66), Mekhol Ovadiyah (Yardena Cohen, ? Ovadiyah, ohne Text; S. 67), We-David Yeffeh E'inayim (Rivka Sturman, Mathitjahu Shelem, ohne Text; S. 68), Makhar (Rivka Sturman, Naomi Shemer, Naomi Shemer; S. 69), Ha-Shu'al (Rivka Sturman, Emanuel Zamir, A. Weiner; S. 71). Das nur als Lied vorgestellte Od Yishama ist ebenfalls als Tanz bekannt (Jonathan Gabai, Shlomo Karlibach, Jeremia 33:10-11, S. 30).

Zu den meisten Tänzen wäre übrigens auch das Entstehungsjahr festzustellen gewesen, wodurch eine historische bzw. evolutionäre Komponente innerhalb des israelischen Volkstanzes ins Spiel hätte gebracht werden können. Der Hinweis zum 1. Platz im 'Wettbewerb "Chanson d'Eurovision"' für den 'modernen Song' Hal'luya (S. 38, sollte das nicht Hallelujah heißen? Musik: Kobi Oshrath, Text: Shimrith Or, auch diese Angaben fehlen) mag hilfreich sein, wieso fehlen aber dann bei Chai (S. 39, Musik: Avi Toledano, Text: Ehud Manor) und dem bereits weiter oben besprochenen Hora die Angaben zum jeweils 2. Platz im gleichen Wettbewerb (1982 resp. 1983) (30)? Die zu all den Tänzen empfohlene Musik (insgesamt 10 Tonträger, S. 72) geht nicht nur quantitativ am tatsächlichen (deutschen) Markt vorbei, qualitativ entpuppen sich die Vorschläge als 'veraltet', der Großteil der vorgeschlagenen Tonträger existiert nur in Form von Schallplatte oder Audiokassette und wird nicht mehr aufgelegt, d.h. ist im Fachhandel auch nicht mehr käuflich; dabei gäbe es zwischenzeitlich eine Reihe von neuen Veröffentlichungen zu Israelischen Volkstänzen auf CD (31).

Soweit in ganz konkreten Punkten die Kritik an - ja, an wen eigentlich? An die Autorin Edda Langecker? An den Redaktionsleiter Ulrich Dovermann? An den Resortleiter Franz Kiefer? Oder an die Bundeszentrale für politische Bildung? Letztere Institution lehnt aber jede Verantwortung ab. Wer sollte also verantwortlich sein für die viel zu vielen inhaltlichen Fehler in nur einem Baustein, für unzureichende Quellenangaben, für die Unfähigkeit, direkte Zitate in Anführungszeichen zu setzen, für nicht erkennbare methodische Ansätze? Schließlich wurde hier nicht irgendein Underground-Pamphlet der Öffentlichkeit präsentiert, sondern eine mit Steuergeldern finanzierte Publikation, die den Status eines Vorzeigeobjekts beanspruchen sollte.

Es liegt in der Natur der Sache, in einer Kritik im Besonderen die negativ auffallenden Punkte hervorzuheben. Damit soll grundsätzlich jedoch nicht die ohne Zweifel auszusprechende Anerkennung unterdrückt werden, Bereiche wie Volksmusik und Volkstanz für Unterrichtseinheiten in Schulen und der Erwachsenenbildung vorzuschlagen. Es soll außerdem vermieden werden, bezüglich der Qualität des sechsten Bausteins - rein spekulativ - auf die Qualität des Restes der 'Projektwoche Israel' zu schließen: Zu einer sorgfältigen Untersuchung der ersten fünf Bausteine seien andere aufgefordert. Die fehlenden, hier für die Benutzer der 'Projektwoche Israel' nachgelieferten Informationen zum diskutierten Baustein wären aber auch in Deutschland ohne Weiteres zugänglich gewesen, was ja im Detail bewiesen wurde. Anfragen an auf Volkstanz orientierte oder israelische Tänze spezialisierte Organisationen blieben auf der anderen Seite aus: So wurden z.B. - ganz konkret - weder das Israelische Tanzhaus e.V. in München (32) angefragt, noch etwa der DBT (Deutsche Bundesverband für Tanz e.V.) (33), wie dessen Vorsitzender Prof. Dr. Klaus Kramer auf Anfrage mitteilte.

Fußnoten
1. Bezugsanschrift: Bundeszentrale für politische Bildung, Postf. 1369, 53003 Bonn (Fax: 0228-515-113); ISBN 3893313605 (inkl. CD-ROM). Aktenzeichen für den Falle einer Korrespondenz: IV-3/1554/5237/97.
2. Matti Goldschmidt: Shiru ha-Shir (vol. 1). Israelische Tanzbeschreibungen, München 1994 (2. Auflage: München 1999).
3. Siehe u.a. Matti Goldschmidt: Ursprung und Eigendynamik des Israelischen Volkstanzes, in: Tribüne 30 (1991), Nr. 119, 188-196.
4. Weitere Bausteine: (1) Allgemeiner Teil (historischer Abriß, Landkarten usw.), (2) Die Menorah vor der Knesseth, (3) Eine israelische Familie mit deutschen Wurzeln, (4) Negev, (5) Symbolstadt Jerusalem - Historischer Konflikt und Friedensfindung.
5. Sämtliche weitere Seitenangaben beziehen sich auf den Baustein "Traditionelle Musik und Volkstanz".
6. Dieser Hinweis befindet sich ebenfalls auf der jeweiligen Impressumseite der anderen o.g. Bausteine.
7. Otto Ferdinand Best: Mameloschen. Jiddisch, eine Sprache und ihre Literatur, Frankfurt/M. 1973 (1. Aufl.) bzw. 1988 (2. verb. Aufl.). Durch die bei Langecker fehlende Jahresangabe kann nicht auf die Auflage geschlossen werden. Daß überdies mit der saloppen Angabe von "S. 13 ff." gleich drei Zitate belegt werden sollen, erleichtert dem Quellesuchenden sicher nicht die Arbeit.
8. Bettina Simon: Jiddische Sprachgeschichte, Frankfurt/M. 1993, 10.
9. "Yiddish Language", in: Encyclopaedia Judaica, 1972, 16:789-798, hier 796: "The modern Yiddish period, after 1700, witnessed a slow but almost fatal decline of Yiddish in the West".
10. "Ha-Tikvah", Encyclopaedia Judaica, 1972, 7:1470-1472, hier 1472.
11. Abraham Zvi Idelsohn: Hebräisch-orientalischer Melodienschatz, Bd. IX: Der Volksgesang der osteuropäischen Juden, Leipzig 1932, xix.
12. Sämtliche Anschriften ggf. über den Autor erhältlich.
13. Bezgl. einer umfassenden, wenn auch bei Weitem nicht kompletten Discographie (es fehlen insbesondere Tonträger europäischer Gruppen) s. Susan Bauer: Von der Khupe zum Klezkamp, Berlin 1999, 228-234.
14. Thomas Heyn: Mittler zwischen den Welten. Jüdische Themen in der Musik, in: Musikblatt 20 (1993), Nr. 163, 21-31, hier 24. Die von Langecker erwähnte Ortsangabe (Göttingen 1993) ist bei Periodika bekanntlich unüblich.
15. Ebd.
16. Fehlende Literaturangaben zum Artikel aus der FAZ sind hier ergänzt: Jochen Schmidt: Tanzfest in der Wüste, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 115/1996 (18.05.96), 4 (Beilage).
17. Zur Zahl der aktiven Tänzer in Israel vgl. Judith Sudlovsky: High Tech Hora, in: The Jerusalem Post, Oktober 1994, zitiert in: Grapevine 12 (März 1995), Nr. 8, 1. Lt. Befragungen (nicht Schätzungen!) gehen rund 10% der Bevölkerung Israels regelmäßig mindestens einmal wöchentlich zum Volkstanzen, womit eine Zahl von rund 400.000 gemeint sein könnte, Quelle: "Gibore'i Tharbuth", 2. TV-Kanal Israels, vom 05.03.94; zitiert nach Yaron Meishar: Ba-Aretz Kulam (Kim'at) Roqdim (In Israel tanzen [fast] alle), in: Roqdim no. 25 (Mai 1994), 3.
18. Als Ausnahme dürfen die einmal monatlich veranstalteten, seit Sommer 1998 jedoch mangels Teilnehmer eingestellten Tanzabende der IKG Nürnberg bezeichnet werden, die im Wesentlichen nur von jüdischen Teilnehmern besucht wurden.
19. Matti Goldschmidt: Die Bibel im israelischen Volkstanz, in: choreae 5 (1998), Nr. 1, 22-50. Der Aufsatz ist mittlerweile erweitert und ergänzt in Buchform erschienen
20. Alfred Sendrey: Musik in Alt-Israel, Leipzig 1970, 414.
21. Ebd.
22. Eine umfassende Bearbeitung dieses Themas steht kurz vor der Veröffentlichung.
23. Z.B. Ela Klindt & Karin Schabert: Tänze aus Israel, Ahrensburg 1970, oder Friedel Kloke-Eibl: Tänze aus Israel, Kiel 1997, oder Goldschmidt, a.a.O. (s. Anm. 2).
24. Velvel Pasternak: The International Jewish Songbook, New York 1994, 30.
25. Siehe u.a. Tzvi Friedhaber: Shishim Shanah le-Hiyutzratho shel ha-Riqud 'u-Sha'avthem Mayim' (60 Jahre Choreographie des Tanzes 'u-Sha'avthem Mayim'), in: Daf Mida Roqdim 14 (April 1998), 8-9.
26. Peter Tomanke: Tanzen, Stuttgart 1992, 93.
27. Velvel Pasternak: The Best of Israeli Folk Dances, New York 1990, 10 f.
28. "Idelsohn, Abraham Zvi", in: Encyclopaedia Judaica, 1972, 8:1224-1225, hier 1225.
29. Idelsohn, a.a.O. (s. Anm. 11), Lied # 716.
30. Eine in israelischen Volkstanzkreisen nicht akzeptierte Choreographie gab es übrigens auch zu Hallelujah (Marco Ben-Shim'on); an Chai versuchten sich - allesamt erfolglos - gleich fünf Choreographen (Shmuel Viki Cohen, Avi Eliram, Shlomo Maman, David Suissa und Israel Yakovee).
31. Vgl. dazu Matti Goldschmidt: Israelische Tänze. Tonträger und Tanzbeschreibungen, in: tanzen 13 (1995), Nr. 4, 23-27. S. aber auch die (erst 2002 erschienene) CD 'The Bible in Israeli Folk Dances'.
32. Satzungsziele des ITH sind u.a.: Die Durchführung von israelischen Folkloreveranstaltungen sowie Lehrgängen in Deutschland, die Information über israelische Volkstanzaktivitäten im In- sowie im deutschsprachigen Ausland, die Zusammenarbeit von Folklore- und Tanzinteressenten zur Förderung des israelischen Volkstanzes in Deutschland sowie im deutschsprachigen Ausland, die ausschließlich für Jugendliche gedachte Veranstaltung von Folklorelehrgängen sowie Tanzveranstaltungen in Form von Ferienworkshops. Die Existenz diese Vereins hätte der Redaktion bei der Bundeszentrale für politische Bildung spätestens bei der Lektüre von Goldschmidt, a.a.O. (s. Anm. 2), bekannt sein müssen.
33. Zielsetzung des DBT ist es u.a., 'die kulturelle und soziale Bedeutungen des nicht-professionellen Tanzes auf kultur-, bildungs- und sozialpolitischer Ebene herauszustellen und seine Wirkungsmöglichkeiten zu erweitern'.

Der vorliegende Artikel wurde in verkürzter, nur auf die tanzbezogenen Punkte veröffentlicht in: tanzen 4/1999, S. 8-11.

Klicken Sie hier, um mehr über allfällige Reaktionen der zuständigen Redaktion der Bundeszentrale für politische Bildungzu erfahren!

Zu unserem Bedauern wurde in einer 2. Auflage (2002) der gesamte Baustein "Volkstanz" ersatzlos herausgenommen. Das war sicherlich nicht das Ziel unserer Kritik!



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Stand: 21. Februar 2003